Anorexie

0

Einführung Vorkommen Symptome Formen Verlauf Ursachen Therapie

Anorexia nervosa, Magersucht, Anorexie, Essstörungen

Einführung

Magersucht (Anorexia nervosa) ist eine Störung des Essverhaltens, die durch seelische Probleme ausgelöst wird. Der Begriff "Anorexia" stammt aus dem neulateinischen und bedeutet Appetitlosigkeit. Der Zusatz "nervosa" weist auf die psychischen Ursachen der Essstörung hin. Magersüchtige verspüren meist einen sehr großen Appetit, verleugnen diesen aber. Insofern ist der Begriff "Anorexie" irreführend, denn das Merkmal der Magersucht ist nicht die Appetitlosigkeit, sondern die Angst vor dem Essen, verbunden mit einer panikartigen Angst vor der Gewichtszunahme. Im Verlauf der Erkrankung kommt es zu einem erheblichen Gewichtsverlust als Folge einer verminderten Nahrungsmittelzufuhr. Trotzdem haben Magersüchtige ständig die Vorstellung, zu dick zu sein.

Vorkommen

Bezogen auf die Gesamtbevölkerung tritt die Magersucht relativ selten auf. Bei Frauen in der Altersspanne vom 15. bis zum 25. Lebensjahr, die als Risikogruppe für Magersucht gelten, findet sich die Erkrankung bei ca. 1 % dieser Gruppe. Das weibliche Geschlecht ist etwa 15 bis 20 mal häufiger betroffen als das männliche Geschlecht. Anorexie beginnt oft schon in der frühen Jugend, häufig kurz nach dem Einsetzen der ersten Menstruation. Der Erkrankungsgipfel liegt zwischen dem 14. und 18. Lebensjahr. Erkrankungen nach dem 25. Lebensjahr sind selten. Allerdings nimmt die Zahl der Frauen zu, die nach dem 25. Lebensjahr magersüchtig werden. Die Sterblichkeit ist mit ca. 10 Prozent sehr hoch. Essstörungen, wie die Anorexia nervosa haben einen unübersehbaren gesellschaftlichen Charakter. Die Erkrankung kommt fast ausschließlich in reichen Ländern vor.

In Hinblick auf die Veränderungen des Essverhaltens lassen sich zwei Formen der Anorexia nervosa unterscheiden. Dies sind die asketische (passive) Form und die bulimische (aktive) Form der Anorexie. Etwa 50 % der Patientinnen halten ausschließlich Diät (passive Form) ohne aktive Maßnahmen zur Gewichtsreduktion einzusetzen, bei den anderen treten auch bulimische Symptome (Essanfälle und selbst herbeigeführtes Erbrechen, Einsatz von Abführmitteln) auf. Bei den Betroffenen der letzteren Gruppe, beginnt die Störung meist später. Sie haben vor der Erkrankung ein höheres Gewicht, die Körperschema-Störung (siehe Symptome) ist meist stärker ausgeprägt, und sie sind häufig depressiver als Patientinnen mit einer rein anorektischen Symptomatik.

Symptome

  • Körperschema-Störung
    Bei den Betroffenen kommt es zu einer Störung der Wahrnehmung des eigenen Körpers, d. h. sie überschätzen ihren Körperumfang und halten sich für zu dick, auch wenn Sie bereits extrem abgemagert sind.
    Es besteht eine massive Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper und eine verzerrte Wahrnehmung des eigenen Körpers. Die Betroffenen überschätzen regelmäßig ihre Körperbreite. Das Kardinalsymptom Körperschemastörung wird auch in den diagnostischen Leitlinien der ICD 10 berücksichtigt.
  • Verändertes Essverhalten
    Infolge der verzerrten Wahrnehmung des eigenen Körpers, bemühen sich die Betroffenen, ihr vermeintlich zu hohes Gewicht zu vermindern. Zu diesem Zweck nehmen sie nur geringe Mengen an Nahrung zu sich und vermeiden Lebensmittel, die viele Kalorien enthalten. Manche PatientInnen verweigern zeitweise die Nahrungsaufnahme vollständig. Häufig nimmt das Essen einen zentralen Stellenwert im Leben der Betroffenen ein. Sie verwenden viel Energie darauf, Hungergefühle zu unterdrücken oder bereiten mit großem Eifer wahre Festmahle für andere zu, an denen sie aber selbst nicht teilnehmen.
  • Gewichtsverlust
    Neben der strengen Diät verwenden viele Betroffene (s. o.) Appetitzügler sowie Abführmittel und betätigen sich sportlich, um abzunehmen. Durchschnittlich verlieren Magersüchtige etwa 45 bis 50 % ihres Ausgangsgewichts. Liegt das Körpergewicht um mindestens 15 % niedriger als das Normalgewicht, wird die Diagnose der Anorexie gestellt. Viele Patientinnen magern bis auf 30 Kilogramm ab.
  • Körperliche Veränderungen
    Durch den Gewichtsverlust und die Mangelernährung kann es zu schwerwiegenden körperlichen Schäden kommen. Aufgrund von hormonellen Störungen bleibt die Menstruation meist aus. Bei Beginn der Störung vor der Pubertät wird die körperliche Entwicklung häufig stark verzögert. Es werden auch andere Folgen, wie eine Verlangsamung des Herzschlags, niedriger Blutdruck, ein Absinken der Körpertemperatur, Hautprobleme, eine flaumartige Behaarung des Rückens, Muskelschwäche, Haarausfall und Wassereinlagerung im Gewebe beobachtet. Der Mineralstoffhaushalt ist in der Regel gestört. Die körperlichen Befunde werden durch die Mangelernährung verursacht und sind reversibel, d. h. sie verschwinden meist vollständig nach einer Normalisierung des Essverhalten.
  • Psychische Veränderungen
    Magersüchtige sind ständig bemüht, dünner zu werden. Verbunden damit besteht eine extreme Angst vor einer Gewichtszunahme. Schon eine Zunahme von wenigen Gramm löst eine regelrechte Panik aus. Dies führt zu dem Versuch, das Essverhalten noch strenger zu kontrollieren. Die Betroffenen befinden sich also in einem regelrechten Teufelskreis. Häufig zeigen sich auch depressive Symptome und eine starke Reizbarkeit. In der Regel fehlt eine Krankheitseinsicht. Jegliche Hilfe wird abgelehnt und die Therapiemotivation ist entsprechend gering.

Die Unterscheidung der Anorexie von der Bulimia nervosa (Bulimie) ist im Einzelfall oft schwierig. Zwar sind beide Krankheitsbilder jeweils durch typische Merkmale gekennzeichnet (die Anorexie durch starken Gewichtsverlust, die Bulimie durch das Auftreten von Essanfällen und Maßnahmen zur Gewichtsreduktion wie z. B. Erbrechen), der Übergang ist jedoch fließend. Bei vielen Patientinnen tritt eine Mischung von Symptomen auf, man spricht dann von einer Bulimanorexie.

Die wichtigsten Symptome nochmals im Überblick:

  • Gewichtsverlust von mehr als 15 % vom Ausgangsgewicht,
  • Selbstherbeigeführte Gewichtsreduktion durch eingeschränkte und extrem kontrollierte Nahrungsaufnahme, Vermeidung hochkalorischer Speisen, übertriebene körperliche Aktivität oder selbstinduziertes Erbrechen und Missbrauch von Abführmitteln,
  • Ständiges Kreisen der Gedanken um Nahrung, Gewicht und Körperschema,
  • Extremer Perfektionismus in verschiedenen Lebensbereichen,
  • Verzerrte Körperwahrnehmung: selbst bei starkem Untergewicht wird der Körper als zu dick empfunden,
  • Starke Angst vor Gewichtszunahme,
  • Body-Mass-Index liegt unter 17,5,
  • Fehlende Krankheitseinsicht.

Formen

Bei der Magersucht werden zwei Unterformen unterschieden. Die asketische Form der Anorexie verläuft ohne aktive Maßnahmen zur Gewichtsreduktion wie z. B. Erbrechen. Bei der bulimischen Form kommt es zu Heißhungerattacken gefolgt von Erbrechen und Abführen, d. h. es werden aktive Maßnahmen zur Gewichtsreduktion eingesetzt (s. o.).

Verlauf

Die Anorexia nervosa weist einen ungünstigen Spontanverlauf mit einer hohen Mortalitätsrate infolge somatischer Komplikationen und durch Suizide auf. Unbehandelte PatientInnen zeigen einen wesentlich schlechteren Verlauf als behandelte PatientInnen. Nach einer Behandlung zeigt sich bei etwa 30 % der Betroffenen eine vollständige Besserung, d. h. sie erreichen zumindest annähernd das Normalgewicht. Bei den Patientinnen kommt es wieder regelmäßig zur Menstruation. Bei 35 % lässt sich zwar eine Gewichtszunahme feststellen, der Bereich des Normalgewichts wird allerdings nicht erreicht. Das Krankheitsbild bleibt bei ca. 25 % der Betroffenen chronisch bestehen. Etwa 10 % sterben infolge der Anorexie. Auch nach einer Gewichtsnormalisierung hält bei vielen Betroffenen die verzerrte Einstellung zu Gewicht und Figur an. Generell ist die Prognose günstiger, wenn die Erkrankung früh begonnen hat. Beginnt die Erkrankung jedoch sehr früh (vor dem 11. Lebensjahr) ist die Prognose wiederum deutlich schlechter.

Ursachen

Bei der Entstehung der Anorexie wirken verschiedene Faktoren zusammen:

Physische Faktoren: Es wird vermutet, dass bei vielen anorektischen PatientInnen eine Störung der Hirnregion vorliegt, die für die Steuerung des Essverhaltens, die sexuelle Aktivität und die Menstruation verantwortlich ist. Es ist allerdings auch möglich, dass die Funktionsstörung dieser Hirnregion erst im Laufe der Erkrankung, z. B. als Folge des Gewichtsverlustes, auftritt und zur Aufrechterhaltung der Störung beiträgt, aber nicht ihre eigentliche Ursache ist. Für eine genetische Disposition bei der Magersucht sprechen Untersuchungen an eineiigen und zweieiigen Zwillingen anorektischer Patientinnen. Diese Untersuchungen zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit an Magersucht zu erkranken bei eineiigen Zwillingen etwa 50 % beträgt. Bei zweieiigen Zwillingen hingegen liegt diese Wahrscheinlichkeit unter 10 %.

Untersuchungen über Störungen der Hormonmuster zeigen u. a., dass der Östrogenspiegel erniedrigt ist und dass das Wachstumshormon vermehrt vorkommt. Alle bisherigen Befunde über Störungen der Hormonmuster und Stoffwechselstörungen sind aber als sekundär anzusehen und lassen sich auf emotionalen Stress, den Gewichtsverlust und die verminderte Nahrungsaufnahme zurückführen.

Psychische Faktoren: Wegen des besonders häufigen Beginns der Anorexie während der Pubertät wird vermutet, dass die Erkrankung als Folge einer Störung der psychosexuellen Entwicklung auftritt. Die Betroffenen haben häufig eine ambivalente Einstellung zum eigenen Körper. Sie lehnen die eigene Geschlechterrolle ab und auch die Sexualität. In der Pubertät entwickelt sich das Mädchen zur Frau und muss eine neue Identität finden. Die damit verbundene innere Verunsicherung, die Zweifel und Ängste, werden häufig auf die äußere Erscheinung zurückgeführt. Ist die Betroffene bei dieser Identitätsfindung überfordert, entsteht ein tiefes Gefühl der Unsicherheit. Für viele PatientInnen scheint der Versuch, Kontrolle über ihr Körpergewicht ausüben zu können, ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln. Die Kontrolle über das Körpergewicht wird zu einer Quelle für Selbstwertgefühl. Minderwertigkeitsgefühle werden durch reglementiertes Essen und disziplinierte Nahrungsaufnahme kompensiert. Essen wird demgegenüber als Kontrollverlust erlebt.

In den Familien anorektischer Patientinnen findet sich häufig eine Atmosphäre, die durch Perfektionismus, Ehrgeiz, Rigidität und Leistungsorientierung gekennzeichnet ist. Das Interaktionsgeschehen ist durch kontrollierende, übervorsorgliche und nach außen harmonisierende Verhaltensweisen geprägt. Die Patientinnen werden oft von ihren Eltern stark behütet, d. h. dass in der Familie auch nicht angemessen auf die Entwicklung des Kindes zur Frau reagiert wird. Ebenso werden Konflikte in der Familie in vielen Fällen nicht angesprochen, d. h. Probleme werden häufig "unter den Teppich gekehrt". Die Kinder sind in die unausgetragenen Konflikte der Eltern einbezogen. Auffällig häufig findet sich in den Familien anorektischer PatientInnen eine Rollendominaz der Mutter oder der Großmutter.

Bei diesen Ausführungen handelt es natürlich um eine Beschreibung typischer familiärer Verhältnisse, die nicht auf den Einzelfall übertragbar sind. Außerdem besteht die Möglichkeit, dass Familienatmosphäre und Interaktionsgeschehen zumindest teilweise nicht die Ursache, sondern die Folge der Erkrankung sind, denn das Krankheitsbild der Anorexie ist für die betroffenen Eltern sehr besorgniserregend. Dies führt dazu, dass sie ihr Kind schützen und von Konflikten fernhalten möchten.

Soziale Faktoren: In westlichen Gesellschaften hat sich das Schönheitsideal seit Anfang der 60er Jahre immer mehr in Richtung eines sehr schlanken Körpers entwickelt. Paradoxerweise ist es auf der anderen Seite durch relativen Wohlstand und ein Nahrungsüberangebot gleichzeitig zu einem Anstieg des Durchschnittsgewichtes gekommen. Übergewicht wird insbesondere bei Frauen gesellschaftlich sehr negativ bewertet. Übergewichtige Männer werden als stattlich bezeichnet, Frauen hingegen als fett. Durch Werbung und Filme wird der Eindruck erweckt, dass nur schlanke Frauen erfolgreich und beliebt sind. Dicke Frauen sind entweder "graue Mäuse" oder "Ulknudeln". Gerade junge Frauen, die während der Pubertät körperliche Veränderungen erfahren und erst ein Gefühl für ihren "neuen" Körper entwickeln müssen, können durch dieses Schlankheitsideal stark verunsichert werden.

Therapie

Die Magersucht gilt allgemein als therapeutisch schwer zugängliche Erkrankung. Es gibt hohe Rückfallquoten und eine hohe Therapieabbruchrate. PatientInnnen fehlt oft die Einsicht in die Schwere und Bedrohlichkeit der Erkrankung und somit auch in die Notwendigkeit einer Behandlung. Deshalb gestaltet sich insbesondere auch die Anfangsphase einer Therapie schwierig. Die Beziehung zum Therapeuten wird von dem hohen Autonomieideal der Betroffenen bestimmt: Dadurch wird der Aufbau einer Vertrauensbeziehung erschwert, denn therapeutische Maßnahmen werden als Einschränkung der Autonomiebestrebungen erlebt. In der Folge werden die therapeutischen Bemühungen und Absprachen trotz eines vordergründigen Entgegenkommens häufig unterlaufen (Verheimlichung, Täuschung z. B. durch das Trinken von Wasser vor dem Wiegetermin).

Entsprechend der Komplexität des Krankheitsgeschehens ist eine mehrdimensionale Therapie anzustreben. Psychotherapeutische Interventionen können als Einzeltherapie, Gruppentherapie oder als Familientherapie angewendet werden. Gegenwärtig überwiegen meist Kombinationsbehandlungen. Die eingesetzten Therapieverfahren lassen sich in psychodynamische, lerntheoretisch orientierte und systemische Behandlungsansätze unterteilen. Körperorientierte Ansätze werden oft ergänzend angewendet.

Zu Beginn der Behandlung ist die Aufstellung und Durchführung eines Gewichtsprogramms vorrangig, d. h. erstes Anliegen ist zunächst eine Gewichtszunahme, um den körperlichen Folgeschäden entgegenzuwirken. Dabei ist die Anwendung verhaltenstherapeutischer Techniken besonders erfolgversprechend. Es werden z. B. bestimmte Belohnungen vereinbart, die die Betroffenen für Erfolge bei der Ernährungsumstellung erhalten. Die Behandlung sollte zunächst stationär in einem Krankenhaus stattfinden, wenn das Körpergewicht deutlich unterhalb des Normalgewichts liegt, die körperliche Verfassung lebensbedrohlich ist oder aufgrund der depressiven Verstimmung Selbstmordgefahr besteht.

Da bei anorektischen Patientinnen oft nur wenig Einsicht hinsichtlich der Schwere ihrer Erkrankung besteht, müssen bei Lebensgefahr oft zunächst Nährstoffe durch Infusionen zugeführt werden. So bald wie möglich sollten die Betroffenen die Verantwortung für ihre Gewichtszunahme aber selbst übernehmen.

Eine langfristige Normalisierung des Gewichtes kann jedoch nur erreicht werden, wenn die Ursachen der Anorexie behandelt werden. Wichtig für die Betroffenen ist der Aufbau eine Vertrauensbeziehung zum Therapeuten. Auf der Basis dieser Vertrauensbeziehung gilt es dann, die Ursachen der Störung aufzuarbeiten, so dass eine gesunde Ich-Identität entsteht. Seit einigen Jahren gibt es ambulante Therapeuten und auch psychosomatische Kliniken, die sich auf die Behandlung von Essstörungen spezialisiert haben. Wichtig und sinnvoll für Betroffene ist es in jedem Fall auch, sich mit anderen Essgestörten über ihre Erfahrungen und Wahrnehmungen auszutauschen, was am besten in einer Selbsthilfegruppe in geschütztem Rahmen realisiert werden kann. Außerdem gibt es bundesweit zahlreiche Anlaufstellen für Essgestörte und deren Familien. Dort werden Beratungen und in Einzelfällen auch Therapien angeboten.

Bei der Therapie von Essstörungen bieten sich nachfolgende Behandlungsansätze an:

Tiefenpsychologisch fundierte Behandlungsansätze: Tiefenpsychologisch fundierte Therapieverfahren basieren auf den Grundannahmen der von S. Freud begründeten Psychoanalyse. Eine dieser Grundannahmen besagt, dass unbewusste Prozesse menschliches Verhalten und Erleben entscheidend bestimmen. Neurotische Symptome (neurotische Angst, neurotische Depressionen u. a.) sind demnach Ausdruck unbewusster Konflikte, die durch aktuelle Situationen reaktiviert werden. Die Symptome neurotischer Konflikte sind gleichzeitig auch als misslungene Lösungsversuche zu betrachten. So wird z. B. beim Wiederholungszwang durch ein "unbewusst motiviertes Arrangement" immer wieder die gleiche Lebenssituation hergestellt, d. h. Wiederholungssituationen geschaffen, unter denen der Betroffene leidet. In der Therapie gilt es u. a. darum, diese unbewussten Konflikte bewusst zu machen, so dass z. B. Angst aufgelöst werden kann.

Auf der Basis der o. a. Vertrauensbeziehung kann die/der TherapeutIn zu einer Bezugsperson für die Patientin werden. Sie akzeptiert und stützt die Patientin in ihrer subjektiven Unsicherheit und ermöglicht es, in der therapeutischen Beziehung neue Beziehungsmuster kennenzulernen. Typische Themen zu Beginn der Therapie sind Regeln einhalten müssen, schlimm sein dürfen, einen eigenen Platz einnehmen dürfen. Während der Therapie treten Angstgefühle auf, die Betroffenen erleben Hilflosigkeit, aber auch aggressive Impulse (auch gegen die Therapeutin). Diese Emotionen sind wahrzunehmen, auszudrücken und zu verbalisieren, so dass Zusammenhänge zwischen intrapsychischen Vorgängen und sozialen Beziehungen bewusst werden.

Neben dem psychotherapeutischen Gespräch werden auch imaginative Verfahren wie z. B. die Katathym-imaginative Psychotherapie und körperorientierte Methoden (Konzentrative Bewegungstherapie, Tanztherapie usw.) eingesetzt. Damit kann es gelingen, einen direkten Zugriff auf die Körperwahrnehmungsstörung und die körperbezogene Identität zu finden. Kreative Ausdruckstherapie kann die PatientInnen aus ihrer Enge, Starrheit und Einsamkeit lösen, ohne dabei ihre Abwehrhaltung zu verstärken. Gefühle von Macht, Stärke, und Wichtigkeit werden anders erlebbar gemacht als durch die bisherige Strategie der Essensverweigerung. Intrapsychische Vorgänge können auch durch die Anwendung von ergotherapeutischen Techniken dargestellt und bewusst gemacht werden. Zuerst zweidimensional (in Zeichnungen), später dreidimensional (Handpuppen, Tonarbeiten). Dadurch wird eine kommunikative Auseinandersetzung mit der sozialen Umwelt ermöglicht. In einem weiteren Schritt kommt es zur Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper. Dies kann z. B. durch Konzentrative Bewegungstherapie und Rollenspiele (Psychodrama) erfolgen, so dass sich eine dynamische Körpersprache entfaltet, die eine Veränderung der Wahrnehmung des Körperschemas bewirken kann.

Verhaltenstherapie: Die Schritte einer Verhaltenstherapie können sein:

  • Maßnahmen zur Gewichtssteigerung: Für jede von der Patientin gern durchgeführte Aktivität wird der Kalorienverbrauch geschätzt und aufgelistet. Dann wird der ermittelt, wie viel Kalorien durch Nahrung aufgenommen werden müssen, damit diese Aktivität durchgeführt werden darf (z. B. Spazieren gehen, Sport treiben, sich mit Besuch oder mit Pflegepersonal beschäftigen, Lesen usw.). Durch diese Vorgehensweise wird zum einen Faktenwissen vermittelt, zum anderen werden die Betroffenen nach der erfolgten Nahrungsaufnahme belohnt (positive Verstärkung), da sie nun einer Aktivität nachgehen dürfen, die sie gerne tun.
  • Die PatientInnen werden mit angstauslösenden Reizen (das Essen von gemiedenen Speisen) konfrontiert.
  • Vermeidungsverhalten wird abgebaut und regelmäßige Essverhalten aufgebaut.
  • Die dysfunktionalen Einstellungen zum Essen und zur Körperwahrnehmung werden verändert.
  • Problematische Kognitionen (vermindertes Selbstwertgefühl, Schamgefühle) werden identifiziert und modifiziert.
  • Erarbeitung genereller Regeln, die das Essverhalten über das Therapieende hinaus unauffällig halten sollen. Erarbeiten von Strategien im Umgang mit Rückfällen.

Systemische Therapie: Konzepte der humanistischen Psychologie und der systemischen Familientherapie gehen davon aus, dass der Mensch aus Körper, Seele und Geist besteht, d. h. der Mensch erlebt sich in seinem lebensgeschichtlichen Zusammenhang und in seinem sozialen Umfeld als ganzheitlich. Deshalb werden auftretende Störungen und Krankheiten an Leib und Seele auch ganzheitlich gesehen und behandelt. Die humanistische Psychologie geht weiter davon aus, dass der Mensch ein schöpferisches und produktives Selbst hat, das eine positive und aktive Rolle in seiner Lebensgestaltung spielt. Das gehemmte, verschüttete oder blockierte schöpferische Selbst soll mit den vielfältigen und kreativen Methoden der humanistischen Psychologie wiederentdeckt werden. Ihr Anliegen ist es, die tiefenpsychologischen Hintergründe von Störungen und Einschränkungen, die der einzelne empfindet, aufzuspüren. Die Bedeutung der Störungen werden bewusst gemacht, um sie nachhaltig aufzulösen. Betroffene sollen befähigt werden, neue Lebensperspektiven für sich selbst zu finden und zu entwickeln, um innerlich dabei zu wachsen und als Persönlichkeit zu reifen. Hierbei findet jeder Mensch selbst diesen Weg zur Heilung. Essstörungen werden nicht als Ausdruck von Willenlosigkeit oder Unfähigkeit gesehen.

Die systemische Familientherapie bietet die Möglichkeit, den einzelnen Menschen nicht nur losgelöst für sich als Einzelperson zu sehen, sondern als Teil eines Systems, das ihn mit seinen unbewussten Aufträgen auf der einen Seite in seiner Entwicklung blockieren kann, andererseits aber auch innerhalb des Systems Ressourcen zur Verfügung stellt, die es gilt zu nutzen. Die vorhandenen Ressourcen offenzulegen und die Blockaden zu lösen, ist Aufgabe des therapeutischen Prozesses. Systemische Familientherapie heißt nicht unbedingt eine Arbeit mit der ganzen Familie, sondern beschränkt sich oft in der Aufarbeitung familiärer Strukturen im Einzelkontakt zwischen Klient und Therapeut.

Die systemische Familientherapie als Arbeit mir der ganzen Familie wird vorteilhaft auch bei jüngeren PatientInnen eingesetzt, die noch in ihrer Familie wohnen. Dabei soll die Familie erkennen, wie sie auf das gestörte Essverhalten der Patientin reagiert. In diesem Zusammenhang kann es auch hilfreich sein, wenn der Therapeut an Mahlzeiten in der Familie teilnimmt. Manchmal beschäftigen sich die Familienmitglieder so stark mit der Anorexie, dass sie sich um andere Probleme nicht mehr kümmern können oder wollen. Die Betroffene erhält auf diese Weise die ungeteilte Aufmerksamkeit und die Familienmitglieder müssen sich nicht mehr mit sich und ihren eigenen Konflikten auseinandersetzen. Wird dieses Reaktionsschema, das i. d. R. zur Aufrechterhaltung der Störung beiträgt, unterbrochen, tritt häufig eine Besserung ein. Gerade die Eltern erleben es meist als sehr erleichternd, wenn sie im Umgang mit der Erkrankung ihres Kindes von einer TherapeutIn unterstützt werden.