Benzodiazepinabhängigkeit, Teil 8

0

Medikamentensucht, Benzodiazepinabhängigkeit

 
Seite 8
 

  Folgen der Sucht und Komplikationen der Medikamentenabhängigkeit.

Für die Entwicklung einer Benzodiazepinabhängigkeit gibt es eine Reihe von Risikofaktoren (Wolter-Henseler, 1996). Die Wahrscheinlichkeit für eine Benzodiazepinabhängigkeit ist bei Personen mit einer bereits bestehenden Suchterkrankung erhöht. Das Risiko ist auch dann besonders hoch, wenn Behandlungsdauer und Dosis zunehmen. Neben der Chronizität und Schwere der mit Benzodiazepinen behandelten Symptome spielen zusätzlich psychosoziale Belastungen eine wesentliche Rolle.

Die Einnahme von Benzodiazepinen wird begünstigt durch bestimmte Erwartungen des Patienten an die psychotropen Wirkungen. Auf seiten der verordnenden Ärzte sind folgende Faktoren bedeutsam (Weyerer, 2001):

  • nicht reflektierte Verschreibung von Benzodiazepinen,
  • fehlende Arzt-Patient-Beziehung,
  • Verschreibung ohne Indikation,
  • mangelhafte Berücksichtigung von Persönlichkeit und Biographie der Patienten,
  • fehlendes Problembewusstsein hinsichtlich der Gefahren von Langzeit- bzw. Hochdosisverordnungen.

Dabei spielen quantitativ die Hausärzte (Allgemeinpraktiker und Internisten) die größte Rolle. Die Gefahr einer Überdosierung mit Benzodiazepinen ist auch durch die große Zahl der verschiedenen, im Handel befindlichen Substanzen und Handelspräparate gegeben. Diese Präparate können für sehr unterschiedliche Indikationen (Anxioloyse, Schlaf, Muskelrelaxation) verordnet werden. Der einzelne Arzt überschaut dann ggf. nicht mehr, dass er seinem Patienten unter Umständen mehrere gleich oder ähnlich wirkende Benzodiazepinderivate verschrieben hat (Weyerer, 2001).

Neben dem hohen Abhängigkeitsrisiko sind insbesondere bei älteren Menschen Nebenwirkungen wie kognitive und psychomotorische Beeinträchtigungen zu nennen, die bei älteren Menschen wesentlich häufiger auftreten als bei jüngeren. Eine besonders gravierende Nebenwirkung der Einnahme von Psychopharmaka ist bei älteren Menschen das überproportionale hohe Risiko von Stürzen mit den möglichen Komplikationen von Brüchen. Aus einer Studie von Lord et al. (Lord et al., zit. bei Weyerer, 2001) geht hervor, dass das Sturzrisiko bei Psychopharmaka einnehmenden Patienten um 66 % erhöht ist.

Weitere unerwünschte Wirkungen sind (Schmidt-Endres, 2006):

  • Tagesmüdigkeit und Schläfrigkeit,
  • Beeinträchtigung von Aufmerksamkeit und Reaktionsvermögen,
  • Einschränkung der Fahrtüchtigkeit,
  • Potenzierung der Wirkung von Alkohol,
  • Kumulation,
  • Ataxie, Sturzgefahr,
  • Anterograde Amnesie,
  • Paradoxe Disinhibitionsphänomene,
  • Psychotische Phänomene,
  • Atemdepression,
  • i. v.: Blutdruckabfall, Herzstillstand,
  • lokale Gefäßirritationen,
  • postoperatives Delir.

Zu den Folgen einer längerfristiger Benzodiazepineinnahme gehören nach (Schmidt-Endres, 2006):

  • abgeschwächtes Gefühlserleben,
  • gereizte Verstimmungszustände,
  • Fähigkeit zur Selbstkritik ist abgeschwächt,
  • Vergesslichkeit und geistige Leistungsminderung,
  • Konfliktvermeidung,
  • Überforderung in bzw. Vermeidung von neuen oder belastenden Situationen,
  • Gestörtes Körpergefühl, verminderte körperliche Energie,
  • Muskuläre Schwäche, ggf. mit Reflexverlust,
  • Appetitlosigkeit,
  • Vermeidung des Themas Tabletten – heimliche Einnahme,
  • Chronifizierung von „Angst“ und „Depression“.

Im fortgeschrittenen Stadium zeigt sich das typisches Bild eines kognitiv leicht beeinträchtigt wirkenden Patienten ohne körperliche Spannkraft und ohne spürbare gefühlsmäßige Beteiligung an der Umwelt. Dabei ist kein echter Leidensdruck hinsichtlich dieser Veränderung erkennbar. Bei chronischer Überdosierung zeigen sich (Schmidt-Endres, 2006):

  • Dysarthrie,
  • Ataxie,
  • Amnesie,
  • Paradoxe Euphorisierung.

Die Arztbesuche dieser Patienten sind häufig. Sie klagen zudem häufig über somatische Beschwerden und haben den Wunsch nach der Verordnung anderer Medikamente für andere Störungen. Sie klagen über Unruhe, auch wenn diese nicht objektivierbar ist und über Stress (Schmidt-Endres, 2006).

Wie bereits zuvor erwähnt, ist vielen Dauerkonsumenten oder Abhängigen von Benzodiazepinen im Gegensatz Alkoholikern oder Konsumenten von illegalen Drogen oft nicht bewusst, dass sie eine (vom Arzt verordnete) Substanz mit Suchtpotential missbräuchlich einnehmen und breits abhängig sind oder abhängig werden könnten. Einweisungen in Krankenhäuser werden nur selten wegen der Diagnose "Benzodiazepinabhängigkeit", sondern wegen anderer Erkrankungen, zumeist Depressionen, vorgenommen.

Entsprechend ambivalent und unsicher ist auf seiten des Patienten die Bereitschaft zu einer Entzugsbehandlung. Doch
selbst bei älteren Menschen sollte nicht vorschnell auf eine Entzugsbehandlung verzichtet werden. Ein Entzug sollte vor allem dann erwogen werden, wenn sich unter laufender Einnahme von Benzodiazepinen die psychischen Symptome verschlechtern, wenn also eine Toleranz eintritt, die Benzodiazepine ihre Wirkung verlieren und andererseits noch mit einigen Jahren Lebenserwartung zu rechnen ist (Weyerer, 2001).

Je höher die Ausgangsdosis, je länger der Einnahmezeitraum und je älter der Patient, um so vorsichtiger sollte der Entzug durchgeführt werden. Dieser kann sich selbst im stationären Rahmen über mehrere Monate erstrecken. Angesichts dieser langen Dauer wird häufig ein kostengünstigerer ambulanter Entzug vorgeschlagen. Wenn jedoch insbesondere ältere Menschen an schwerwiegenden Begleiterkrankungen leiden oder über kein ausreichendes soziales Netzwerk verfügen, wenn in der häuslichen Umgebung bereits früher gefährliche Rezidive aufgetreten sind, ist vorrangig ein stationärer Entzug indiziert (Wolter-Henseler, 1998).